2. Zur Geschichte der Zeitwahrnehmung
Zeit zu messen, zu objektivieren ist ein Bestreben aller Kulturen und Zeitalter gewesen
(vgl. Gaitzsch u. a. 1982; Stecher 1990). Bevor ein Überblick über Zeit und
Rhythmus in den Epochen der Musikgeschichte geschaffen wird, rückt zunächst das
übergeordnete Phänomen Zeit und seine Sichtweise durch die Jahrhunderte in
den Fokus. So soll nun ein erster Zugang zur Zeiterfahrung – als Basis zur
Rhythmuserfahrung – stattfinden im Rückblick auf die Geschichte der menschlichen
Zeitwahrnehmung.
2.1. Objektive Zeitmessung: von der Sonnenuhr zur Atomzeit
Die einfachste Art die Zeit zu messen, ist die Beobachtung des Schattens. Im
Altertum wurde mit einem Schattenstab die Mittagslinie, der Meridian bestimmt,
Sommer- und Wintersonnenwende festgelegt und somit das Jahr strukturiert. Die
Sonnenuhr dient also genauso wie das Beobachten von Mond und Sternen dazu,
die kosmische Zeit – eine großräumige Zeit, in der Himmelsereignisse stetig
wiederkehren – zu messen (Gaitzsch u. a. 1982, S. 11ff.). Ebenfalls schon in der
Antike bekannt waren Wasseruhren, während die Erfindung der Sanduhr auf das
europäische Mittelalter zurückgeht (ebd., S. 26). Ebenso wie die Sonnenuhr
messen Sand- oder Wasseruhren das Verstreichen einer anschaulichen, stofflichen,
also konkreten Zeit. Hervorzuheben ist einerseits, dass Sand- und Wasseruhren
verhältnismäßig kurze Dauern bestimmen (die Sanduhr beispielsweise war im Umfeld
von Kirche und Universität gebräuchlich, um die Zeit von Predigt oder Vortrag zu
bemessen), deren Messvorgang andererseits mit dem Wenden noch dazu an
ein körperliches Agieren gebunden war. In der frühen Form der Zeitmessung
durchdringen sich körperliche und räumliche Prozesse noch, wie folgender Umstand
verdeutlicht: aus der mittelalterlichen Agrargesellschaft nämlich stammt die
Bezeichnung für den ›Morgen‹ Land, damit war die Fläche gemeint, die man in der
entsprechenden Zeit, d. h. einem Lichttag, pflügen konnte (vgl. Sulzgruber 1995,
S. 13f.).
➢ | Seit dem Altertum wird die Zeit an einer stofflich konkreten Anschauung gemessen,
sie verdeutlicht sich durch (Körper-)Bewegung im Raum. | |
Während sich im Mittelalter der bäuerliche Lebensrhythmus ganz im Einklang mit
der Natur abspielt, existiert im kirchlichen Umfeld schon eine reglementierte
Tageseinteilung. Diese Strukturierung des Tages orientiert sich an einem aus der Antike
übernommenen Konzept, das den hellen Tag in 12 Stunden teilt, 10 von Sonnenaufgang
bis -untergang, dazu je eine für die Morgen- und Abenddämmerung. Zu bedenken ist in
diesem Zusammenhang, dass der Sonnentag im Sommer länger als im Winter und auch
von seiner geographischen Lage abhängig ist.