< Ludwig Thoma: DAS VOLKSLIED Es erwachte damals die Freude am Volkstum, und man konnte überall recht wohl den Drang bemerken, sich von echten, kleinsten Zügen der Volksseele zu überzeugen und sie in gehaltvollen und gewundenen Sätzen wiederum zu schildern. Neben Wortprägungen, die mit Heimat, Scholle, Erde, Erdgeruch wackere Zusammenhänge fanden, begegnete man herzig schlichten Romanen, die, als Aufgüsse über den würzigen Bodensatz Gottfried Kellerscher Getränke, Farbe und Geschmack annahmen, und begegnete auch heimatliebenden, von jeder peinlichen Tendenz abgekehrten Schulaufsätzen, welche man ehedem Feuilletons genannt hatte. In dieser wonnigen, schollenseligen Zeit bemühten sich auch Berufsmenschen, Perlen im Aktenschutte zu finden, und so nahm sich ein Rechtsanwalt namens Doctor juris Anton Habergais vor, seine mitten in Land und Leute verschlagene Existenz folkloristisch zu verwerten und seltene Lieder zu sammeln. Er glaubte, daß sich ungehobene Schätze genug unter niederen Dächern befinden konnten, und er wollte sie ans Licht ziehen und mit ihrer Naivität ein heimatfrohes Publikum entzücken. Der Gedanke war kaum gefaßt und im vorhinein lieblich verbrämt, als Herr Habergais auch an seine Verwirklichung schritt und sich ein in Leder gebundenes Heft von schönem Büttenpapier kaufte. Er stellte sich freudig vor, wie er wohl an stillen Winterabenden hier hinein Lied für Lied mit Beibehaltung der ursprünglichen Schreibweise eintragen wollte nebst Anmerkungen unter einem mit roter Tinte zu ziehenden Striche. Nach etlichen fleißigen Monaten ließ sich dann wohl ein Büchlein daraus formen, welches den Forschern zur Erquickung, anderen aber zur Belehrung dienen mußte. Wie war nun aber das Material herbeizuschaffen? Der ehedem solchen Zwecken gerne dienstbare Volksschullehrer hatte sich leider im Laufe der Zeiten daran gewohnt, seine Entdeckungen selbst zu Aufsätzen, zu Heften und Büchlein zu verwerten, und war als selbstloser, höchstens im Vorworte erwähnter Mitarbeiter kaum mehr zu haben. Darum blieb nichts übrig, als unter Umgehung dieses Sammelbeckens sich geradeswegs an die Quellen zu begeben, was ja einem Rechtsanwalt immerhin möglich war. So kam also Herr Doktor Habergais mit sich überein, von rechtsuchenden Bauern selbst Beiträge zu erbitten. Ein in seiner Gemeinde Weidach wohlangesehener Ökonom, Jakob Hirtner, genannt Matheiser, kam in seiner Angelegenheit zu Habergais, als dessen Entschluß gerade gereift war. Nach dem Geschäftlichen ging der Rechtsanwalt zu einem jovialen Ton über, klopfte dem Matheiser auf die Schulter und begann zu fragen. ,,Hirtner, nicht wahr, bei Ihnen in Weidach wird doch häufig gesungen?" ,,G´sunga?" ,,Ich meine die jungen Mädchen, die zum Brunnen gehen, die Burschen auf der Landstraße--" ,,Brunna?"
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