- 155 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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7.5.  Musikpädagogischer Ausblick

Der Blick in das menschliche Gehirn ist mit Hilfe moderner Untersuchungsmethoden immer detaillierter geworden. Bildgebende Verfahren ermöglichen es, verschiedenen Tätigkeiten die dabei beanspruchten Hirnareale differenziert zuzuordnen. Bei aller Faszination der Möglichkeiten moderner Hirnforschung stellt sich jedoch die Frage, welcher konkrete Erkenntnisgewinn für die praktische Arbeit verzeichnet werden kann. Anders gefragt: welche Bedeutung haben die dargestellten Tatsachen für musikpädagogisches Handeln in rhythmusbezogenen Lehr- und Lernsituationen?

Eine Erkenntnis muss auf jeden Fall berücksichtigt werden: das Bild ist fassettenreich, widersprüchlich und dadurch insgesamt unklar. Die Einzelergebnisse der zitierten Untersuchungen haben für sich allein wenig Aussagekraft. Erst die Summe vieler Erhebungen kann zur Orientierung dienen: Rhythmus (und Metrum, wenn nicht davon ausgegangen werden soll, dass beides konfundiert ist) wird an vielen Orten des menschlichen Gehirns verarbeitet, darunter solche, die eher verstandesbezogenen Prozessen zuzurechnen sind, solche, die für die emotionale Belegung Bedeutung haben und solche, die für unbewusste, reflexhafte Vorgänge zuständig sind. Für zeitliche Prozesse im Musikunterricht gilt somit, dass Angebote an alle diese Komponenten notwendig sind.

Deutlich wurde auch, dass Zeiterfahrung Bestandteil jedes Sinneseindrucks ist. Dies führt zu der grundsätzlichen Erkenntnis, dass ein vielfältiges und differenziertes Angebot an Reizen der rhythmisch-musikalischen Entwicklung förderlich ist. Dass mit dieser Aussage keine Beliebigkeit der Angebote einhergeht, versteht sich im Umgang mit ästhetisch ansprechendem Material von selbst (was genau ›ästhetisch ansprechend‹ ist, muss jede Lehrkraft in Bezug auf sich selbst und verschiedene Arten von Lernenden selber bestimmen). Die natürliche Nähe von Rhythmen zu den Bereichen von Sprache und Bewegung konnte neurophysiologisch jedenfalls nachgewiesen werden. Die Verwandtschaft beider Bereiche zu den Phänomenen Rhythmus und Metrum ist durch die Ähnlichkeit beanspruchter Hirnbereiche nun auch neurophysiologisch untermauert. Dies gilt auch für die immer wieder festgestellte Reifungsbedürftigkeit der Zeitverarbeitungsfähigkeit bei Kindern. Kapitel 7 konnte zeigen, welche neuronalen Funktionen in Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Zeitwahrnehmung beansprucht werden und dass diese im Kindesalter nicht mit denen von Erwachsenen vergleichbar sind.

Auch wenn letztlich mehr Fragen offen bleiben, als Antworten gefunden werden, ist es für Lehrkräfte wichtig, Einblicke in die Verarbeitungsmechanismen des Gehirns zu haben. So besteht immerhin die Chance, dass Beobachtungen aus der Praxis mit dem Wissen um die Vorgänge im Gehirn in Beziehung gesetzt werden können. Die Komplexität der neurophysiologischen Vorgänge entspricht letztlich nur dem Erscheinungsbild einer Schülerin oder eines Schülers: das Wesen des Menschen entzieht sich (genau wie das Wesen des Rhythmus) einer analytischen, quantitativ erfassbaren Klassifizierung. Kein noch so fundiertes Wissen kann den lebendigen Dialog, das persönliche Bemühen um eine Person ersetzen – aber es kann helfen, dieses Tun sinnvoll zu gestalten.


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