- 129 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (128)Nächste Seite (130) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

7.  Zeit- und Rhythmusverarbeitung im Kontext der
Neurophysiologie

Kapitel 6 hatte dargestellt, wie zeitliche Strukturen – Rhythmen – sich in verschiedenen psychischen Dimensionen abbilden: Die Verarbeitung von Zeit betrifft sowohl bewusste als auch unbewusste Vorgänge, beinhaltet kognitive sowie emotionale Aspekte und erstreckt sich neben der Wahrnehmung auch auf die Ausführung zeitgebundener Handlungen. Da ein großer Teil der Zeitverarbeitung auf kognitiv gestützten Prozessen basiert, ist die Wahrnehmung durch das Zusammentreffen von Individuum und Situation bestimmt.

Dem gegenüber stehen die neurophysiologischen Grundlagen des intern konstruierten Phänomens Zeit. Alle Perzeption und Produktion von Strukturen in der Zeit beruht auf Vorgängen in Gehirn und Nervensystem. Trotz individueller Ausprägung beruht die Zeitverarbeitung auf biologisch fest verankerten Gesetzmäßigkeiten. Horst-Peter Hesse fasst diesen Sachverhalt folgendermaßen zusammen:

So verschieden das Bedingungsgefüge bei den einzelnen Menschen sein mag, das, was alle Menschen gemeinsam haben, sind die grundlegenden anatomisch-physiologischen Strukturen und Funktionen des Nervensystems. Das Psychische ist an spezifische Prozesse im Gehirn gebunden, es setzt das Vorhandensein, einen angemessenen Entwicklungsgrad und die Funktionsfähigkeit von neuronalen Strukturen voraus, die im Laufe der Evolution entstanden und daher langfristig stabil sind (Hesse 2003, S. 8).

Für den musikpädagogischen Zusammenhang geht es darum, methodische Strategien darauf hin zu überprüfen, ob sie mit neurophysiologischen Gegebenheiten in Übereinstimmung stehen – oder Strategien zu entwerfen, die auf dem Wissen um die Funktionsweise von Gehirn und Nervensystem basieren.

7.1.  Die zeitliche Dimension der Reizverarbeitung

Obwohl biologisches Leben durchdrungen ist von zeitlich gesteuerten Prozessen, fehlt dennoch ein auf diese Vorgänge spezialisiertes Wahrnehmungssystem. Zeit kann als solche selbst nicht unmittelbar empfunden werden, »wir können sie weder sehen, hören, berühren, riechen, schmecken« (Epstein 1998, S. 350). Das Phänomen Zeit bedarf einer innerlichen, auf das Gedächtnis gestützten Rekonstruktion (vgl. Abschnitt 6.1). Anders ausgedrückt könnte formuliert werden, dass Zeit real gar nicht vorhanden ist bzw. in der menschlichen Verarbeitung keine ›sichtbaren‹ Spuren hinterlässt. Dies ist jedoch nur teilweise richtig. Denn alle Sinnesmodalitäten, über die der Mensch verfügt, sind durch eine zeitliche Komponente gekennzeichnet.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (128)Nächste Seite (130) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 129 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus