- 19 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Im zweiten Jahrhundert vor Christus werden die verschiedenen Versfüße wie Trochäus, Iambus, Daktylus, Anapäst – um nur einige wenige zu nennen – systematisiert (vollständig s. Seidel 1998, Sp. 269). Diese Klassifikation wirkt über die Epochen bis in die Musiktheorien des 20. Jahrhunderts (vgl. die Abschnitte ab 3.2.6). Sie geschieht unter dem Begriff Metrum, der die poetische Form meint, »die wir heute Vers oder Zeile nennen. Die Grundbedeutung des Terminus Metrum ist damit für Jahrhunderte bestimmt. Das Metrum steht im Zentrum dessen, was die an der Poesie interessierten Gelehrten erörtern.« (ebd.). Im Gegensatz dazu wird die temporale Struktur der Musik und des Tanzes unter dem Begriff Rhythmus erörtert.

Ebenfalls in der Antike wurzelt die Neigung, den Begriff Metrum der Poesie zuzuordnen und den Begriff Rhythmus eher auf Musik zu beziehen.

Zum Ausgang der Antike verbindet Augustinus die überlieferten Theorien mit Elementen des Christentums. Seine Schrift »De musica« (387–389) befasst sich ausführlich mit dem Gebiet des Rhythmus. Unter anderem thematisiert er das Verhältnis von Gefühl und Vernunft, sensus und ratio (Dieses Spannungsfeld zwischen Gefühl im Sinne von Sensorik und Emotion sowie Kognition wird im Laufe der vorliegenden Arbeit immer wieder thematisiert werden). Als Beispiel für die Begrenztheit sinnlicher Wahrnehmung ist das Beispiel angeführt, dass das Erscheinungsbild eines Jambus, nämlich ›kurz – lang‹, nicht mehr als Rhythmus wahrgenommen wird, wenn dessen kurzer Teil eine Stunde und der lange Teil zwei Stunden dauert. Solche Rhythmen seien für die ars musica belanglos (vgl. Seidel 1976, S. 23ff.). Hier wird lange vorweg genommen, was die Wahrnehmungspsychologie später bestätigen wird: der Mensch kann nur das verarbeiten, was die Dauer der so genannten psychischen Gegenwart in der Länge von einigen Sekunden nicht überschreitet (vgl. Abschnitt 6.1.2).

3.2.2.  Das Mittelalter

In der Musiktheorie des Mittelalters spielen die Begriffe Rhythmus und Metrum eine untergeordnete Rolle, wenngleich sich die Epoche dem Phänomen Zeit in der Musik zunehmend differenziert zuwendet. Für die einstimmigen Gattungen wie den Gregorianischen Choral oder den Minnegesang ist festzustellen, dass die schriftlichen Zeugnisse weniger Informationen über ihr Verhältnis zur Zeit als zur Tonhöhe in sich tragen, so ist über die temporale Ordnung dieser Gattungen wenig konkretes Wissen verfügbar. Von außerordentlicher Bedeutung ist aber das Verhältnis von Sprache und Ton: »Melodische Wendungen, die die Notation als Einheit, als Neuma, zur Erscheinung bringt, sind offensichtlich als Äquivalent von Silben oder Worten empfunden worden.« (Seidel 1998, Sp. 271). Auch die sich aus den Neumen entwickelnde Quadratnotation lässt die zeitliche Gestaltung sowohl in der einstimmmigen ›musica plana‹ als auch in der polyfonen ›musica mensurata‹ bis in das 12. Jahrhundert noch offen, überliefert ist allerdings die Aufforderung von Theoretikern wie z. B. Johannes de Garlandia (um 1190 – 1272), dort länger zu verweilen, wo das Verhältnis der Stimmen konsonant ist:

Es ist dieser Usus, konsonante Klänge länger zu halten als dissonante, der Pariser Musikern um 1200 den kleinen und doch so folgenreichen Schritt


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