Daneben gibt es aber eine Reihe aktueller Veröffentlichungen, die ganz speziell
den Umgang mit Rhythmen thematisieren. Einige davon sollen hier darauf hin
näher betrachtet werden, inwieweit sie in Einklang stehen mit den Grundsätzen
einer anthropologisch orientierten Musikpädagogik, wie sie in den bisherigen
Abschnitten dieses Kapitels herausgearbeitet wurde. Ziel der Ausführungen ist keine
flächendeckende Darstellung aller existierenden Veröffentlichungen. Es geht
vielmehr darum, verschiedene Richtungen und Ansätze in der Musikpädagogik
exemplarisch aufzuzeigen. Kriterium ist dabei die Ausgewogenheit von explizitem und
implizitem Vorgehen, von bewusstem und unbewusstem Tun, von Denken und
Handeln. Denn von Lebensbeginn an nimmt der Mensch Rhythmen in seiner
Umgebung wahr und handelt gleichzeitig in Bewegung und Lautäußerung selbst
rhythmisch. Hier liegen intuitive Kompetenzen vor, an die eine angemessene
rhythmische Förderung anknüpfen kann und muss. Das Gefühl für Spannung und
Entspannung, für Akzente und motivische, gestalthafte Gliederung ist nicht nur als
Wegbereitung zu kognitiven Prozessen zu verstehen. Rechnen und Notieren bietet den
impliziten, biologisch angelegten Kompetenzen keine Nahrung. Eine anthropologisch
angemessene rhythmische Erziehung braucht vielfältige Handlungsmöglichkeiten mit
Körper und Stimme genau so – und auf jeden Fall früher – als Angebote an den
Intellekt.
8.7.1. ›Spielerisches‹ Rhythmuslernen auf dem Prüfstand
Das ›Rhythmus-Einmaleins‹ von Anselm Ernst
Anselm Ernst sieht sein »Rhythmus-Einmaleins« (Ernst 1999) als Bestandteil
des regelmäßigen Unterrichts – sei es in der musikalischen Früherziehung, im
instrumentalen Gruppenunterricht oder in der Schulklasse (ebd., S. 2). Das
Rhythmus-Einmaleins besteht aus einer Reihe von Spielkarten mit aufgedruckten
Noten- und Pausenwerten, auf anderen Karten finden sich Taktstriche und
Taktartenvorgaben. Die Größe der Noten-Kärtchen entspricht dabei ihrem Wert, das
Kärtchen für die ganze Note ist also viermal so breit wie das Kärtchen der
Viertelnote usw. In einem kleinen Begleitheft werden einige Spielideen kurz
skizziert. Im Vordergrund dieser Beschreibungen stehen Handlungen mit dem
Notenmaterial: Takte legen, ändern oder ergänzen und kontrollieren. Ernst formuliert
dazu:
Indem man die Karten des Rhythmus-Einmaleins in die Hand nimmt,
begreift man zugleich Tondauern und ihre Proportionen. Durch das
Legen rhythmischer Muster bildet sich eine innere Vorstellung aus. (ebd.,
Kursivdruck im Original).
Diese Behauptung muss in Frage gestellt werden. Durch die Handhabung von notierten
Zeichen wird keineswegs das Wesen eines Rhythmus erfasst. Auch wenn Kinder mit Hilfe
der Karten Einblicke in den rechnerischen Aspekt von Notenwerten bekommen, ist es
Wunschdenken, davon auszugehen, dass notierte Zeichen gleichzeitig Klangvorstellungen
transportieren. Selbst wenn positiv vermerkt werden muss, dass der Autor auch
Sprechen, Singen, Klatschen oder Gehen anrät, bleibt der allergrößte Teil der Vorschläge
im Zählen und Rechnen gefangen. Ernst entlarvt seinen Ansatz selbst als problematisch,
wenn er formuliert: