S. 68).
Die Kenntnisse authentischer Aufführungspraxis führen die Idee grundsätzlicher
Auftaktigkeit ins Absurde.
Die Motivtheorie machte Riemann blind für das innere Taktmetrum, für
einen Faktor, der für die Musik der Klassik, auch für die Beethovens noch,
von prinzipieller Bedeutung ist. Sie setzte ihn außerstand, die Spannung
zwischen dem inneren Taktmetrum und dem Rhythmus der Melodie zur
Sprache zu bringen (Seidel 1998, Sp. 303).
Und dennoch bleibt die Tatsache, dass Riemanns Aussagen reflektiert oder unreflektiert
– in Auffassungen und Bedeutungszuschreibungen bis in die heutige Musiktheorie (und
Musikpraxis) Wirkung zeigen (vgl. Henneberg 1974, S. 253f.).
➢ | Riemann wendet die Begriffe Rhythmik und Metrik überwiegend auf große,
taktübergreifende und damit die Form betreffende Zusammenhänge an. | |
➢ | Die subjektiven Vorgaben, die Riemann für die Ausführung von Musikwerken macht,
sind aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar. | |
3.2.7. Theoretiker nach Riemann: Wiehmeyer, Becking und Kurth
Theodor Wiehmeyer setzt sich 1917 in seinem Werk »Musikalische Rhythmik und
Metrik« kritisch mit Riemann auseinander. Er möchte die Akzenttheorie rehabilitieren
und die Dynamik der Tonverbindungen wieder aus der Rhythmik ausschließen. Anders
als Riemann sieht er den richtigen Weg im Anknüpfen an die antike Verslehre; gleichwohl
übernimmt er Riemanns Terminologie: unter dem Begriff Rhythmus erläutert
Wiehmeyer die Zusammensetzung der grundlegenden Einheiten, unter dem
Begriff Metrum den Zusammenschluss zu Gruppierungen höherer Ordnung.
Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Wahrnehmung fließen in Wiehmeyers
Theorie ein, so gibt er an, wie das Tempo gleichmäßiger Schläge empfunden
wird:
bei einer Dauer von 1,07 Sekunden (M. M. = 56) als langsam, 0,78 Sekunden
(M. M. = 76) als mäßig langsam, 0,64 Sekunden (M. M. = 92) als
adäquat, 0,55 Sekunden (M. M. = 108) als mäßig schnell, 0,42 Sekunden
(M. M. = 144) als schnell. (Wiehmeyer 1917, S.|,25).
Außerdem benennt er die Sinnesebenen, die den Rhythmus empfinden: »Außer dem
Tastsinn, der uns den Pulsschlag wahrnehmen läßt, besitzen wir noch zwei Sinne zur
Vermittlung rhythmischer Vorgänge: den Gesichtsinn und den Gehörsinn« (ebd.,
S. 27).
Sphärische Schwingungen
Gustav Becking, Schüler Riemanns, nennt seine Abhandlung »Der musikalische
Rhythmus als Erkenntnisquelle«. Er verlässt die objektiven Strukturen, indem
er »Oberfläche« und »Untersphäre« (Becking 1928, S. 11) unterscheidet. Zur
Kenntlichmachung der nicht in Worte fassbaren Empfindungen, der Unterströmungen,
empfiehlt Becking die so genannten Begleitbewegungen nach Eduard Sievers,
die anders als beim Dirigieren nur mitvollziehend, nicht anweisend gedacht
sind: