Zur Erfassung der verschiedenen Faktoren und Bestandteile des Rhythmus
(z. B. Takt und rhythmische Bindung) dienen dabei verschiedene Arten
von Mitbewegungen, die unter Anwendung der zugehörigen Hilfsmittel
(Holzstäbchen von allerlei Abmessung, Signale aus Messingdraht) ausgeführt
werden. (ebd., S. 17).
In der Sichtbarmachung von Empfindungen beim Dirigieren mit den Holzstäbchen ergibt
sich eine Zahl von Bewegungsmustern, die nun wiederum einer Interpretation
unterworfen werden. Das Verfahren, im Grunde willkürliche Mitbewegungen als
objektive Typen darzustellen wirkt heute mehr als befremdlich und konnte wohl nur aus
dem zugehörigen Zeitgeist heraus seine Berechtigung finden (vgl. dazu auch de la
Motte-Haber 1968, S. 26f.).
Rhythmus im Spannungsfeld zwischen Physis und Psyche
Ernst Kurth widmet einen Teil seiner »Musikpsychologie« von 1931 dem Thema
Rhythmus, er definiert: »Im allgemeinsten Sinne ist Rhythmus die lebendige Anordnung
überhaupt, z. B. die der Linienwellen, Harmonieentfaltung, der Betonungen und Längen
usw.; daß er damit in den Begriff der Form hinüberspielt, war schon zu erwähnen«
(Kurth 1969, S. 298f.). Kurth betont, dass das Empfinden von Akzenten körperlichen
Ursprungs ist:
Wurzel dieser im engeren Sinne ›rhythmischen‹ Akzente ist ein körperliches
Betonungsgefühl, das in die musikalische Bewegung hineinempfunden wird,
zu eigenartigen Stoßempfindungen durchdringt und seinen sinnfälligsten
Ursprung in den schwereren Schritten von Marsch- und Tanzbewegung trägt.
Körperliches Bewegungsgefühl führt aber über jenes vom Schritt oder auch
das schon beschwingtere vom Tanz weit hinaus, zum Hereinspielen zarterer
organischer Bewegungen, wie selbst eines Atemgefühls, und verliert sich
damit unabgrenzbar in jenes Einfühlen körperlicher Bewegung, der auch die
allgemeinsten, rein psychischen Bewegungsenergien bis zu gewissem Grade
zugänglich sein können (ebd., S. 299).
Die psychische Ebene wird noch weiter ausgeführt:
Bei
aller körperlichen Gebundenheit bleibt doch auch die Betonungsrhythmik
ein psychisches Phänomen, denn selbst die hereinspielende körperliche
Bewegungsempfindung bedeutet nur hereingefühlte Körperlichkeit, die den
motorischen Zug der Musik durchdringt, ihn mit dem Charakter von
Schrittempfindung und ähnlichem durchsetzt; nicht wirklich physische Stoß-
oder Trittempfindung, sondern ein geistiges Nachbild von ihr verschmilzt mit
dem musikalischen Akzent; dieser ist auch keine physiologische Erscheinung,
sondern ein Nachwirken davon in rein psychischer Form. (ebd., S. 302,
Hervorhebung im Original).
Kurth unterscheidet zwischen Betonungsrhythmus, repräsentiert in der Musik der
Klassik, und dem energetischen Rhythmus (Kurth spricht auch von transzendent oder
absolut), den er in der Musik Bachs, Wagners und Bruckners repräsentiert sieht. Die
Bevorzugung der zweiten, intellektualisierteren Sichtweise von Musik macht folgende
Aussage deutlich:
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