5.2.1. ArtikulationDie sprachliche Lautproduktion gilt als die komplexeste motorische Leistung des Menschen (vgl. Papoušek 1994, S. 23). Artikulation benötigt ein differenziertes Zusammenspiel von Atemapparat, Kehlkopf, Lippen, Zunge, Mundhöhle und Gaumensegel. Dieses System ist bei der Geburt noch nicht ausgereift: Der Stimmtrakt des Neugeborenen ähnelt dem der Primaten, er erfährt mit sechs Monaten eine deutliche Umstrukturierung und erfüllt erst mit 2–3 Jahren alle Voraussetzungen für die artikulierte Sprache. (Papoušek und Papoušek 1981, S. 295). Gleichwohl sind zu früh geborene Säuglinge durchaus in der Lage, sich stimmlich zu äußern. Clauser (1971) postuliert, dass das vorgeburtliche Lutschen am Daumen, Trinken von Fruchtwasser sowie Schluckauf dem Schreien vergleichbare Tätigkeiten sind, mit denen im intrauterinen Milieu die Stimmfunktion vorgeübt wird (ebd., S. 36). Als bedeutsamen Faktor für die Identität von Ernährungs- und Sprachfunktion sieht Clauser zum einen den Rhythmus an, zum anderen ist für ihn die Mundhöhle (genauso wie das Labyrinth im Ohr) der Ort, an dem gleichzeitig Erfahrungen mit der inneren und äußeren Welt gemacht werden. (Von deren Prägung durch die rhythmisch-akustischen Vorgänge im Mutterleib war weiter oben schon die Rede, vgl. Abschnitt 5.1.2). Nicht umsonst ist das Messen der Saugamplitude über präparierte Schnuller eine der ersten Möglichkeiten, Reaktionen Neugeborener auf angebotene Reize zu testen. Lautliche Äußerungen sind durch ihre ›Vorgeschichte‹ im Mutterleib besonders geprägt. Vorgeburtliche Erfahrungen hinterlassen im Menschen intensive, tief eingeprägte Erinnerungen. Auch wenn solche Erinnerungen kaum willkürlich abzurufen sind, können spätere Erfahrungen diesen ›Bodensatz‹ anrühren und frühe Erlebnisspuren reaktivieren. Der Mundbereich ist einerseits sehr früh leistungsfähig, andererseits ein Ort, an dem besondere Empfindungen ausgelöst werden. Sprache ist somit zweifach bedeutsames Gebiet.
Stimme – StimmungDie affektive Ebene der Sprache war in Abschnitt 5.1.1 beschrieben worden. Clauser begründet die enge Verbindung von Stimme und Stimmung anatomisch: Alle an der Artikulation beteiligten Bereiche wie Stimmbänder, Zunge, Gaumenzäpfchen und Speiseröhre ähneln vom histologischen Muskelaufbau der quergestreiften Muskulatur des Herzens (vgl. Clauser 1971, S. 59f.). Im frühen Stadium der ontogenetischen Stimmbildung unterliegt die Stimme außerdem den Einflüssen niederer neuraler Impulse; ohne die Möglichkeit kortikaler Kontrolle wirken sich affektive Schwankungen auf die Stimme – wie auf den Herzrhythmus – unmittelbar aus (vgl. ebd., S. 65).
Rhythmus als gemeinsames Merkmal von Sprache und BewegungWährend des flüssigen Sprechens resultiert die Lautproduktion nicht aus statischen Konfigurationen, sondern aus einer fließenden Bewegung der Artikulatoren |