6.1.3. Zeitempfinden im Spannungsfeld zwischen Subjektivität und Objektivität
Zeit als ›innerer Entwurf‹Wie schon erwähnt hat die Ereignisdichte Einfluss auf die Wahrnehmung von Dauern. Anders ausgedrückt ergibt sich das Erleben eines Zeitintervalls aus der »Reichhaltigkeit der im Bewußtsein verarbeiteten Reize«(Pöppel 1998, S. 373). Obwohl wenige Ereignisse – das ist eine Alltagserfahrung – zu Langeweile führen können, wird im Nachhinein aber eine anregungsarme Phase in ihrer Dauer unterschätzt. Umgekehrt führt das Angebot reichhaltiger Reize dazu, dass eine ausgefüllte, erlebnisreiche Spanne in ihrer Dauer rückwirkend überschätzt wird. Pöppel benennt dieses Phänomen mit dem Begriff »subjektives Zeit-Paradox« (ebd., S. 374). Momentane Befindlichkeit in einer Zeitspanne und rückblickende quantitative Einschätzung derselben befinden sich im Widerspruch, sind paradox. Pöppels Meinung nach kann das Wesen der Zeit nur erfasst werden, wenn dessen Definition auf dem basiert, was dem Menschen an Erfahrungen zur Verfügung steht. Hier kommt wieder die weiter oben schon erwähnte Gedächtnis-Funktion ins Spiel. Zeit kann in dem Augenblick, wo der Mensch im Prozess geistiger Konstruktion bzw. Rekonstrukion dieses Phänomen sozusagen innerlich entwirft, nicht objektiv sein. Das innere Konstrukt ›Zeit‹ wird anders als die physikalisch quantifizierbare Zeit immer individuell variabel sein, anders ausgedrückt: Zeiterleben ist hochgradig subjektiv. Somit kann das im Abschnitt 6.1.1 entworfene Spannungsfeld folgendermaßen erweitert werden:
Auf der Seite der Kognition ist der erwachsene Mensch zwar in der Lage, die objektiv messbare physikalische Zeit zu verstehen und sein Leben daran zu orientieren. Er ist auch in der Lage, Geschehnisse im Gedächtnis zu behalten, diese mit der gegenwärtigen Situation abzugleichen und Erwartungen für die Zukunft abzuleiten. Dennoch ist der innere Entwurf von Zeit hochgradig subjektiv. Jedes Individuum erlebt Zeit aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen und Einstellungen letztlich anders.
|