scheint somit auch nach heute herrschender
Auffassung die Tonhöhenvorstellung sowie die Intervallbestimmung zu erleichtern. Zusätzlich
zu beachten ist das Phänomen einer offensichtlich weitgehend unbewusst ablaufenden
Oktav-Transposition. So weist Hans-Christian Schaper in seinem Buch »Gehörbildung
compact« (1989) darauf hin, dass »eine Frauenstimme von der Stimmgabel die wirkliche
Tonhöhe abnimmt, während die Männerstimme automatisch das a der kleinen
Oktave singt« (S. 17 [Hervorhebung P. S.]). Im Chor singen hohe Frauenstimmen
normalerweise eine Oktave höher als die durch einen männlichen Chorleiter gemachte
Tonangabe, während Männer den von einer Chorleiterin angesungenen Ton eine
Oktave tiefer wiedergeben. Geht man wie Rudolph Hermann Lotze davon aus, dass
motorische Prozesse eine wie auch immer geartete Rolle bei der Tonhöhenrepräsentation
spielen, so könnten diese mehr oder weniger automatischen Oktavierungen den
Umfang der vorstellbaren Tonhöhen bis an die Grenzen der auditiven Wahrnehmung
erweitern.
Andrea Halpern versuchte 1989 in einer Studie die absoluten Grenzen der
Tonhöhenvorstellung zu ermitteln. In einer ersten Phase wählten Versuchspersonen, die
nicht nach ihrem musikalischen Ausbildungsstand selektiert worden waren, Anfangstöne von
ihnen vertrauten Liedern, indem sie diese auf einem Keyboard suchten, nachdem sie sich das
jeweilige Lied vorgestellt hatten. Um die höchste und niedrigste vorstellbare Tonhöhe zu
ermitteln, spielte die Versuchsleiterin zuerst die zuvor ausgewählte favorisierte Tonhöhe und
danach in Halbtonschritten sukzessiv erhöhte (oder erniedrigte) Töne auf dem Keyboard.
Auf einer Ratingskala schätzten die Probanden dann die Schwierigkeit der Imagination des
Liedes auf der jeweils präsentierten Tonhöhe ein. Die angegebenen Grenzen der
Tonhöhenvorstellung lagen im Bereich zwischen f und f 2 (vgl. S. 580), d. h. durchaus
im Bereich der Möglichkeiten des menschlichen Ambitus. Die Ergebnisse wurden
leider nicht nach Geschlechtern getrennt dargestellt. Zu vermuten ist aber, dass die
höchsten Tonangaben von Frauen, die tiefsten von Männern gemacht wurden, was
wiederum für einen Zusammenhang zwischen Stimmumfang und Tonhöhenvorstellung
spräche. Bei Halpern zeigte sich allerdings eine starke Korrelation zwischen der für
ein bestimmtes Lied bevorzugten Tonhöhe und den höchsten bzw. niedrigsten
Tonhöhenangaben. Bei einigen wenigen Liedern wurden signifikant höhere oder tiefere
Töne gewählt als bei anderen. Es wurden hier also keine absoluten Grenzen der
Tonhöhenvorstellung gefunden. Die Tonhöhenangaben müssen in Relation zu der bei
der Imagination von bestimnten Melodien jeweils bevorzugten Tonhöhe gesehen
werden.
Otto Abraham (1901) diskutierte im Zusammenhang mit der Fähigkeit des absoluten
Gehörs eine Art motorischen Referenzmechanismus, der das Singen eines bestimmten Tones
auf der Grundlage der genauen Wahrnehmung des Kehlkopfes ermöglichen könnte. Abraham
sprach vom »absoluten Kehlkopfmuskel-Bewusstsein« und erläuterte diese Idee wie
folgt:
Was nun das absolute Kehlkopfmuskel-Bewußtsein […] anbetrifft, so ist dessen
Existenz bisher unbewiesen, aber auch schwer zu eruieren. Wohl kann man
sich vorstellen, daß ein Sänger nach langandauernder Übung im stande [sic]
ist, die Muskeln seines Kehlkopfes so genau einzustellen, daß ein bestimmter
beabsichtigter Ton entsteht, auch ohne daß er ein absolutes
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