Seite 3 Seidl, Der Leiermann
Wenn dann noch die Stimme des Spielmannes:
»Sehen Sie meine verwunschene Tanzgesellschaft! « dareinklang, so glaubte man, die belebte Darstellung eines Hoffmannschen Märchens zu sehen und potenzierte den Eindruck sich selber zum Humor.
Längst hatte ich des Spielmannes schon vergessen. Die Veränderung eines einzigen Verhältnisses bewirkt oft in einer großen Stadt, daß man Plätze, worauf man sich durch geraume Zeit täglich, ja stündlich herumtummelte, durch Monate wieder gar nicht berührt; so ging es auch mir. Ein Lichtpunkt meines Lebens, der mich sonst aufs Wasserglacis in Begleitung einiger Kinder heraustrieb, hatte nun seinen Stand verändert und mich in die Notwendigkeit versetzt, fast allabendlich den Weg nach einer weiten Vorstadt und allnächtlich ihn von dort zurückzunehmen.
So geschah es, daß ich oft, wenn ich mich länger verhielt, um den Weg abzukürzen, durch eine etwas abgelegene Gasse, die eine Diagonale bildete, der Stadt zuschritt, unbekümmert um die Warnungen, die man mir in Betreif einer dort befindlichen Schenke wiederholte. Nicht nur verdächtiges Gesindel sollte sich in jener Schenke umhertreiben, sondern man sprach eine Zeitlang auch sogar von der Notwendigkeit, einen eigenen Wachtposten der Türe des Wirtshauses geradeüber aufzustellen, indem allnächtlich fast bei entstandenen Schlägereien der besiegte Teil auf die Straße hinausfiöge und dann leicht durch Karambolage mit einem Vorübergehenden eine Fortsetzung des Tumultes entstände. Jedoch das alles schreckte mich nicht. Teils dachte ich nicht daran, teils hatte ich auf meine Gewandtheit und Gefaßtheit zu viel Vertrauen, um mich nicht nur zur Gegenwehr oder Flucht gleich gerüstet zu fühlen.
Später als je vorher (es mochte gegen Mitternacht sein) schritt ich einmal im Spätherbste wieder durch jene Straße. Musik in jenem Wirtshause zu hören, war ich gewohnt, aber diesmal fiel mir die Melodie so unwillkürlich auf, daß ich stehen blieb und horchte. Lange konnte ich mich, so bekannt mir auch die Töne waren, nicht deutlich entsinnen. Endlich fiel mir der Leiermann am Wasserglacis ein, und jeder Takt gab mir mehr Überzeugung. Derselbe alte mühselige Deutsche klang recht ohrenzerreißend mir entgegen, indem die Klarinette einzelne Töne fallen ließ, der Baß ganz taktwidrig pizzikierte und eine quiekende Stimme, um Haarbreite zu hoch, die Tanzweise nachsang. Seltsam überrascht näherte ich mich der Schenke und blickte auf gestreckten Zehen durch einen Spalt des Fensterladens in das schwach erleuchtete Innere. Wie unheimlich ward mir aber zumute, als folgendes Bild wie eine lebhaftere Erinnerung, gleichsam durch ein Seelenmikroskop vergrößert, vor meinen Augen sich zeigte. Ein Holzkreuz, welches mit zwei dampfenden Unschlittkerzen besteckt war, verbreitete ein unheimliches Halbdunkel. Hart an der Türe stand innerhalb eines räucherigen Gegitters der schlaftrunkene Wirt und summierte mit versagender Kreide uneinbringliche Schulden. In der Ecke, unter einem |