- 169 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Koordination (vgl. dazu auch das im Abschnitt 5.2.2 beschriebene Phänomen von Selbst-Synchronizität und Synchronizität in Interaktionen). Natürlich kann gezielte Übereinstimmung von Bewegungsrhythmen auch reflektiert geschehen und bewusst trainiert werden. Im Bereich (Leistungs-)Sport ist dies selbstverständlich.

Zwei Aspekte sind für den Gruppenrhythmus bedeutsam: zum einen beinhaltet eine Synchronizität von verschiedenen Ausführenden – wie beispielsweise im Tanz – einen außerordentlichen Gewinn an ästhetischer Qualität. Dabei muss es sich gar nicht um völlig identische Bewegungsmuster handeln (wie beim Synchronschwimmen), sondern kann auch bedeuten, dass (wie im Paarlauf) zwei Personen ihre Bewegungen aufeinander abstimmen, aber dennoch Freiheiten haben. Der zweite Aspekt liegt in der Effektivität der Bewegungen. Innerhalb einer gemeinsamen zeitlich-räumlichen Gestaltung profitieren die Einzelnen vom Gruppenrhythmus für ihren individuellen Rhythmus. Hier liegt die Qualitätssteigerung nicht in der ästhetischen Dimension sondern in der Bewegungsökonomie und betrifft eine Steigerung von Faktoren wie Kraft, Schnelligkeit oder Genauigkeit. Somit kann die Gruppensituation zur Verbesserung der Einzelsituation beitragen.

Diese Erkenntnis lässt sich auf die Situation im Musizieren übertragen: Chor-, Orchester- oder Ensembleerfahrungen zeigen, dass das Spiel mit anderen tatsächlich eine hohe Motivation beinhaltet und zu Leistungsverbesserungen animieren kann. Nicht zu unterschätzen sind dabei aber auch psychische Auswirkungen. Schon in Zusammenhang mit der Sportpädagogik war darauf hingewiesen worden, dass neben der verbesserten Bewegungsleistung auch ein intensiviertes, positiv-getöntes emotionales Erleben von rhythmischen Bewegungen stattfindet (vgl. Abschnitt 4.4.4). Neben der Erlebnisqualität resultiert aus dem Gruppenrhythmus aber eben auch eine Steigerung der individuellen Ökonomie. Im Sog (oder im Schutz) der Gruppe können technisch-musikalische Leistungen, die im Alleingang so nicht möglich wären, gelingen. Somit bietet sich die Gruppensituation auch für eine Steigerung der rhythmisch-metrischen Stabilität an.

Das Ausführen von (Bewegungs-)Rhythmen in einer Gruppe steigert unter günstigen Umständen
—  die emotionale Erlebnisqualität,
—  die individuelle Leistungsfähigkeit,
—  die ästhetische Qualität.
Gruppensituationen bieten eine Chance rhythmisch-metrischer Stabilisierung.

Nun ist die musikpädagogische Basisarbeit in vielen Situationen weit entfernt von der Mitwirkung der Lernenden in Orchestern oder Ensembles. Eine Konstellation, die die positiven Effekte des Gruppenrhythmus auch im Anfangsbereich voll nutzbar werden lässt, ist der Gruppenunterricht. Diese Form der Unterweisung wird in professionellen musikalischen Kreisen in der Regel vehement abgelehnt. Wer ein Instrument bis zum Niveau einer professionellen Ausübung erlernt hat, hat dies fast ausnahmslos in der Einzelunterweisung getan. Viele künstlerisch oder pädagogisch tätige Musikerinnen und Musiker kennen Gruppenunterricht nur vom Hörensagen. So mag manch vernichtendes Urteil über gruppenspezifische Lernprozesse mehr aus Unkenntnis, Unverständnis und Unsicherheit resultieren und als Abgrenzung der eigenen Identität von vermeintlich Minderwertigem und Zweifelhaftem dienen. Der


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