sagen zu können, welches von zwei Ereignissen früher oder später eintrat, muss ein
Abstand von dreißig Millisekunden dazwischen liegen. Für diese Art von Identifikation
bezüglich vorher/nachher vermutet Pöppel ein oszillatorisches System im Gehirn, das
mit einer Frequenz von 30 Hz arbeitet. Zwischen der Auffassungsmöglichkeit von
Gleichzeitigkeit und dem Erlebnis von Folge, von Abzählbarkeit, liegt ein bedeutsamer
Unterschied. Diese Ebene der Zeitverarbeitung geschieht nicht mehr unbewusst -
reflexhaft: »Dem qualitativen Sprung von Gleichzeitigkeit zur Folge entspricht in der
Hierarchie des Gehirns die Verlagerung der Reiz-Verarbeitung von den Sinnesorganen in
das Gehirn.« (ebd., S. 372).
JetztEbenfalls an Gehirnaktivität gebunden ist die Empfindung des Jetzt, dieses erstreckt sich über ungefähr zwei bis vier Sekunden. Nach Pöppel werden in diesem Zeitraum getrennt auftretende Einzelereignisse zu Gestalten integriert. Als Beleg für diese Annahme verweist er darauf, dass sich die Gliederung sprachlicher Äußerungen in dieser Größenordnung bewegt. Sowohl das Phänomen der Gestalt als auch des Jetzt (auch als Präsenzzeit oder Psychische Gegenwart benannt) sollen ihrer großen Bedeutung wegen weiter unten ausführlicher dargestellt werden (vgl. Abschnitt 6.1.2).
DauerDauer wiederum misst die menschliche Wahrnehmung an der Zahl der verarbeiteten Ereignisse. Auf der Hand liegt, dass das Erleben von Zeitabschnitten, die über das ›Jetzt‹ hinaus gehen, eine Gedächtnisfunktion voraussetzt. Auch Thomas Rammsayer (2000) weist darauf hin, dass gerade längere Zeitspannen nur mittels innerer, symbolischer Rekonstruktion erlebbar werden. Da der Mensch »über kein spezifisches Sinnesorgan bzw. Sinnessystem zur Verarbeitung von Zeitinformation verfügt« (ebd., S. 86) muss physikalische Zeit in subjektive Zeit umgewandelt werden, um für gedankliche Operationen zur Verfügung zu stehen. Auch wenn Zeit mit technischen Hilfsmitteln quantifizierbar ist und die so genannte innere Uhr zeitliche Prozesse im menschlichen Körper konkret (und unbeirrbar) steuert, ist diese Zeit flüchtig, jeder Zeitpunkt ist im nächsten Augenblick schon wieder Vergangenheit – oder wird erst in der Zukunft real. Eine Reflexion zeitlicher Prozesse kommt nicht ohne individuelle Interpretation zustande.
Zeitverarbeitung im Modell von Ernst PöppelIm folgenden Modell werden die von Pöppel postulierten Ebenen schematisch dargestellt, die in der Evolutionsgeschichte früh auftretenden Kategorien bilden die Basis. Es ist davon auszugehen, dass die ›niederen‹ Verarbeitungsstrategien nicht abgelegt werden, sondern unterschwellig immer tätig bleiben. Die Lokalisation der psychischen Gegenwart, des Jetzt, im Arbeitsgedächtnis greift auf die Darstellung des Arbeitsgedächtnisses in Kapitel 5 (vgl. Abschnitt 5.4.3) zurück. Dort wurde |