wenn die Motorik im
Vordergrund steht, so wird sie dennoch immer im Zusammenhang zur zuvor gemachten
Lebenserfahrung und zu den über die Sinnesorgane registrierten Informationen betrachtet.
Bereits John Broadus Watson soll gesagt haben: »We think with our whole bodies« (zitiert
nach Frank J. McGuigan 1973, S. 374). Walter Pillsbury bestand darauf, dass Bewusstsein
letztendlich durch Sinnesempfindungen in Verbindung mit Muskelbewegungen zustande
kommt:
Consciousness is made up of sensation understood with reference to movement,
and of movement in the light of and under the control of sensation (Pillsbury
1911, S. 99).
Diese Aussagen erinnern an die Emotionstheorien von Carl Lange (1885/1910), William
James (1890/1909) und Antonio R. Damasio (2001), nach denen emotionales Erleben
durch die kognitive Bewertung sensomotorischer Vorgänge im Körper erklärt wird.
Demnach kommen Gefühle im wesentlichen durch die Bewusstmachung und Deutung
physiologischer Veränderungen zustande. In Anlehnung an James (1890/1909, S. 376)
lässt sich diese These sinngemäß folgendermaßen zusammenfassen: »Wir weinen
nicht, weil wir traurig sind, sondern sind traurig, weil wir weinen«. Übertragen auf
die musikalische Klangvorstellung würde dies bedeuten, dass motorische Prozesse
im Kehlkopf auf der Grundlage zuvor gemachter musikalischer Erfahrung (z. B.
Musikhören und Singen) im Bewusstsein z. B. im Sinne der Vorstellung von Tonhöhen
interpretiert werden. Dies leitet über zum nächsten Kapitel, in dem diskutiert wird, ob
motorische Prozesse möglicherweise der »Simulation« von Bewusstseinsinhalten
dienen.
3.3. Funktion der Imitation und Simulation
In den vorangegangenen Kapiteln wurden – vereinfacht gesagt – motorische Prozesse
entweder als Begleiterscheinung oder als Ursache der Vorstellung deklariert. In diesem
Kapitel sollen schließlich Theorieansätze diskutiert werden, die davon ausgehen, dass
motorische Komponenten an der Nachahmung bzw. der Rekonstruktion oder Simulation
zuvor wahrgenommener Strukturen in Gedächtnis- oder Verstehensprozessen beteiligt
sind.
3.3.1. Allgemeine Simulationstheorien
Nach Jean Piaget (1945/1962; 1966/1979) resultiert die Entwicklung von Vorstellungen aus
der Fähigkeit zur zeitversetzten Imitation, einer Fähigkeit, die gegen Ende des
sensumotorischen Stadiums der kognitiven Entwicklung, d. h. im zweiten Lebensjahr
erworben wird. In dieser Phase lernt das Kind zwischen sich und der Umwelt zu
differenzieren. Es erkennt sich selbst als Verursacher von Handlungen und beginnt,
intentional zu handeln. So verwendet es z. B. seinen Stimmapparat, um Geräusche zu
erzeugen bzw. gehörte Geräusche nachzuahmen. Die Ergebnisse dieser »Experimente«
werden zur Konstruktion von Schemata genutzt, d. h. zusammengefasster und vereinfachter
innerer Modelle. So werden demnach u. a. auch Zusammenhänge zwischen dem Einsatz des
Stimmapparates und der zeitlichen Dauer
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